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«Wie geht es dir?»

Eine unterbewertete Floskel



Kürzlich habe ich meine beste Freundin aus der 7. Klasse wieder getroffen. Seit unserem letzten Treffen vergingen sicher eineinhalb Jahre. Unweigerlich war die Frage zwischen uns: «Wie geht es dir?». Sie hat sie zuerst an mich gerichtet. Also begann ich, ihr die letzten 18 Monate zusammenzufassen und einen kurzen Überblick über mein Leben und die wichtigsten Veränderungen und Erlebnisse zu zeichnen. Irgendwann unterwegs stellte ich fest, dass ich meine Ausführungen nur als halbherzig erlebe und das alles, was ich gerade erzähle, gefühlt eigentlich gar nichts mehr mit mir zu tun hat.


Am nächsten Morgen lag ich vor dem Aufstehen grübelnd an die Decke starrend unter der kuscheligen Bettdecke und dachte über meinen Widerstand gegenüber der «Wie-Gehts-Dir-Frage» nach, bis sich die Teile in meinem Kopf mit einem wahrscheinlich hörbaren «Klick» an die richtige Position rückten.


«Wie geht’s dir?», ist eine Frage, die sich immer nur genau in dem Moment beantworten lässt, in dem sie einem gestellt wird. Und zwar am besten dadurch, dass ich Körperempfindungen, Eindrücke und Gedanken aus dem Moment teile.

Alles andere hat nichts mehr damit zu tun, wie es mir gerade jetzt geht. Höchstens einen Einfluss darauf.

«Wie geht’s dir?» ist zu einer dermassen ausgeprägten und omnipräsenten Floskel geworden, dass wir oft nur noch abnicken und wie ein Automat antworten: «Gut und dir?» und das ganze möglichst rasch hinter uns bringen.


Eine Einladung zur Achtsamkeit


Dabei ist die Frage wie es uns geht eigentlich jedes Mal eine Einladung, kurz innezuhalten, uns mit uns selbst zu verbinden, unseren Körper zu spüren, unsere Gedanken und Empfindungen zu checken und aus dem Hier und Jetzt zu antworten. Grossartig, oder? Mehrmals täglich werden wir daran erinnert, achtsam mit uns selbst zu sein …




Anyway. «Oh», dachte ich mir, noch immer im Bett liegend; «Was das wohl im Kontext der Polyamorie bedeuten könnte?». Wo könnte diese Erkenntnis nützlich sein?



Zukunfts-Eifersucht


Obwohl ich hier jetzt gerne schreiben würde, dass ich es immer total entspannt sehe, wenn einer meiner Herzensmenschen einen neuen Herzensmenschen kennenlernt, ist dies natürlich nicht der Fall. Da ertappe ich mich manchmal, wie ich mir Szenarien in der Zukunft ausmale, von denen ich noch nicht mal weiss, ob sie jemals eintreffen werden und mir dabei schon in den grellsten Farben ausmale, wie das für mich sein wird und wie es mir damit gehen wird. Da kann es auch mal vorkommen, dass ich mich schon überstürzt und voreilig, voller Elan in die unangenehmen Emotionen versetze, die mit meiner Vorstellung zusammenhängen. Nun was soll ich sagen. Dieses Vorgehen ist nicht nur hilfreich. Weder für mich, noch für meine Gesprächspartner:in.


Genau da könnte die «Wie-Geht-Es-Dir-JETZT-GERADE-Frage» hilfreich sein. Denn dann ist sie eine Einladung, in den Moment zurückzukehren und wiederum in den Körper, der sich gerade jetzt hier befindet, hineinzuhorchen. Das bringt gleich mehrere Vorzüge mit sich:


Einerseits realisiere ich dadurch, dass ich gerade jetzt nicht in der ausgemalten Situation stecke und mir darum keine Gedanken darum machen muss. Andererseits führt es mir auch vor Augen, dass ich jetzt gerade in meinem Körper okay und unversehrt bin und es mir gut geht. Dann sinkt der Stresslevel und eine zielführende, konstruktive Diskussion wird begünstigt und der Blick auf die vorhandenen Ressourcen wird so auch wieder frei. Der Blick auf das Funktionierende. Das Erkennen, dass ich gerade jetzt mit einem meiner Herzensmenschen dasitze und diskutiere und die Person für so Vieles unglaublich fest schätze und wir eine Verbindung haben, die den Herausforderungen gewachsen ist.


Also, ganz ehrlich: «Wie geht es dir gerade jetzt?».

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