Beziehungs-Kintsugi
Kintsugi nennt man in Japan die traditionelle Reparaturmethode für zerbrochene Keramik. Die Scherben werden an den Bruchstelle wieder zusammengeklebt und mit echtem Gold bedeckt. So entsteht aus der zerbrochenen Keramik ein neues Kunstwerk.
Dieser Text handelt von Beziehungs-Kintsugi; von all denjenigen Imperfektionen, die in einer Beziehung aufeinandertreffen und genau darum ihre ganze Schönheit entfalten.
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«Was denken wohl die anderen?», denke ich mir, als ich in unserer Küche stehe und abwechslungsweise in den offenen Kühlschrank und auf unsere Kapsel-Kaffeemaschine starre. Remo trinkt Kapselkaffee (der, dessen Name nicht genannt werden darf). Ich trinke Bio-Kaffee aus dem Moka Express. Remo isst Fleisch. Ich verzichte bewusst darauf. Jedenfalls meistens.
Was denken wohl die anderen?
Nun stehe ich angespannt zwischen Kaffeemaschine und Kühlschrank und frage mich, was es für ein Licht auf mich wirft, wenn ich gleich drei Freundinnen zum ersten Mal bei mir zu Hause begrüsse und sie das Fleisch und die Kaffeemaschine entdecken. Ich glaube, eine Freundin isst sogar vegan. Sicher aus Überzeugung! Jedenfalls ist allen die Umwelt wichtig und Nachhaltigkeit ist ein grosses Thema. «Äääääh!», ruft mein Kopf, gefolgt von:«Ich könnte ja die Kaffeemaschine einfach verstecken und in den Kühlschrank wird ja wohl niemand einfach so blicken».
Von aussen wahrscheinlich ein recht lustiger Anblick wie ich da stehe. Zu meiner linken der Kühlschrank, der offen steht (sehr nachhaltig) und zu meiner rechten die Kaffeemaschine, die vor sich hin tropft.
Wie oft machen wir Dinge aus dem Gedanken, was wohl die anderen denken? Noch schnell die Wohnung ordnen und staubsaugen, bevor der Besuch kommt, denn: «Was denken wohl die anderen?». Nett lächeln und zustimmen anstatt wütend den Raum verlassen, denn «Was denken wohl die anderen?». Ja nicht mit den Trainerhosen und ungekämmten Haaren aus dem Haus gehen, denn: «Was denken wohl die anderen?».
Ja, was denken sie wohl, die anderen? Vermutlich Vieles. Und am allerletzten wahrscheinlich das, was du erwarten würdest. Die viel relevantere Frage ist doch: «Was denke ich eigentlich?». Warum ist es mir so wichtig, was andere über mich so denken? Warum möchte ich unbedingt, dass andere ein «gutes» Bild von mir haben? Also im Idealfall das gute Bild, das ich selbst von mir habe. Die Fassade, die ich mir gebastelt habe. Seien wir ehrlich, wir möchten einfach gut dastehen und okay sein, so wie wir sind. Am besten mit der Bestätigung derer, die wir mögen.
Who cares, was die anderen denken?
Zurück in der Küche habe ich mich aus meinem Gedankenkarussell gelöst und lache gerade innerlich über mich. Wenn ich nämlich ganz ehrlich zu mir selbst bin und mich frage, warum mich so unglaublich fest interessiert, was die drei Freundinnen gleich über mich denken werden, höre ich diese innere Stimme, die sagt: «Ich will unbedingt, dass sie mich mögen und toll finden».
Lachend mache ich den Kühlschrank zu und entgegne der Stimme: «Who cares, was die anderen denken? Wichtig ist doch, was ich über mich denke!». Und was Remo macht, ist seine Entscheidung. Dafür trägt er die Konsequenzen und erntet die lobenden und die kritisierenden Blicke. Nicht ich. Ausserdem finde ich es schon ziemlich bemerkenswert und toll, dass ich eine so tolle Beziehung mit einem wunderbaren Menschen gestalte, der ziemlich andere Werte vertritt als ich. Darin besteht doch die wahre Schönheit und Kunst unserer Beziehung (und vielleicht jeder Beziehung?).
Es ist das Gold zwischen uns - unsere Wertschätzung füreinander - welches die Teile zusammenhält und zu einem einzigartigen Kunstwerk macht, genau darum, weil sie auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen scheinen.
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