Über Küchenschränke und Consent.
Ich bin sehr neugierig. Es kann durchaus vorkommen, dass ich bei jemandem zu Hause in alle Küchenschränke gucke, wenn ich das Einverständnis dazu habe. Wortwörtlich und im übertragenen Sinn.
Die Neugierde, Schränke anderer Menschen zu entdecken, bringt mich morgens aus dem Bett. Ich finde es grossartig und sehr berührend, wenn mir jemand das Vertrauen schenkt, dass ich am persönlichen Schrankinhalt teilhaben darf. Mit grosser Sorgfalt und Achtsamkeit nehme ich darum die Inhalte in die Hand, betrachte sie ausgiebig und platziere sie am Schluss wieder genau dort und so, wie ich sie gefunden habe. Nach dem Motto «leave no trace».
Natürlich möchte ich dabei nicht alle Schränke und Inhalte in meinem eigenen Leben haben. Normalerweise kann ich mich jedoch so gut in mein Gegenüber hineinversetzen, dass ich nachvollziehen und akzeptieren kann, warum es für mein:e Gesprächspartner:in durchaus Sinn macht, einen spezifischen Schrank(inhalt) zu haben.
Ab und an verwechselt jemand seine Schränke mit meinen. Das sieht dann so aus, dass ich in einer fremden Küche eine Schranktür öffne und darin Inhalte von mir entdecke, die ich dort nicht platziert habe. Also Dinge wie Interpretationen, Annahmen, (Vor)Urteile, Bewertungen und fixe Bilder über mich.
Dann bin ich irritiert, weil ich nicht will, dass andere ohne zu fragen Dinge nehmen, die mir gehören und sie in ihre Schränke stecken. Frag mich, ob du etwas von mir in deinem Schrank aufbewahren darfst und ich werde es, wenn ich das möchte, bereitwillig mit dir teilen.
Um dies in den Kontext der Datingplattformen zu übersetzen; ab und an lesen Männer mein Profil und stecken mich ohne nachzufragen fälschlicherweise in ihren «Hier-Geht-Es-Bloss-Um-Sex-Schrank». Das kann sich zum Beispiel so äussern, dass nach dem profanen «Hallo» ein noch profanerer Text folgt, der nach eigenen Angaben des Absenders dazu dient, mich zu erregen, so dass ich dem Angebot nach Sex nicht widerstehen kann. Ob Männer mit dieser «Mit-Der-Tür-Ins-Haus»-Strategie grundsätzlich erfolgreich sind und ob es Frauen gibt, die dies tatsächlich erregend finden, kann ich nicht beurteilen. Was in ihren Köpfen vorgeht auch nicht. Bisher hat sich leider keiner von ihnen bereit erklärt, mit mir zu plaudern.
Ich kann aber meinerseits drei Punkte zum Mitschreiben teilen, die für mich – und vermutlich noch für einige andere Menschen – ganz wichtig sind:
Die beiden C: Consent und communication. Frag mich, ob ich Lust darauf habe, das zu lesen, was dir gerade durch den Kopf geht. Frag mich, ob ich Lust darauf habe, einige an Perversität nicht zu übertreffende Nachrichten zu teilen. Frag mich, ob ich Sexting toll finde. Frag mich, ob ich Bilder tauschen will. Frag mich, ob ich Lust habe auf Dominanzspiele. Frag mich immer wieder, ob wir beide noch einen Schrankinhalt begutachten, der uns beiden gefällt. Denn; consent is damn sexy! Consent führt zu mehr Nähe, positiven Erfahrungen, Vertrauen, beidseitigem Vergnügen, Austausch auf Augenhöhe, Respekt und Sicherheit und auf ein offenes Einlassen auf den Menschen (nicht bloss seine Geschlechtsteile). Echter Consent akzeptiert jederzeit ein nein. Ohne Begründung. Immer. Einfach weil ein Nein auch wirklich nein bedeutet.
Ich bin polyamor ≠ Ich will Sex mit dir. In polyamoren Beziehungen geht es in erster Linie um genau das; Beziehungen zwischen Menschen. Um Verbindung. Um Nähe. Um Zuneigung. Um Wertschätzung. Um Verbundenheit. Nicht um den schnellen, unverbindlichen Sex. Einfach nicht. Ich will dich als ganze Person kennenlernen und erst einen Blick in deine Schränke werfen, ehe ich mich auf dich einlasse. Ich will hören, wieso du dich für die Farbe deiner Schränke entschieden hast, wer sie gebaut hat, wie alt sie schon sind. Welche Renovationen du in den vergangenen Jahren gemacht hast und ich will dir auch gerne meine Schränke, die versteckten Regale, die Ecken und Kanten zeigen. Damit du dir ein akkurates Bild von mir machen kannst. Wie ich anhand eines Bildes und einigen Zeilen Text entscheiden soll, ob ich jemensch attraktiv finde und mich auf Intimität einlassen möchte, ist mir darum ein Rätsel.
Lass uns aufhören, einander basierend auf unseren Annahmen in Standardschränke zu stecken. Lass uns stattdessen entdecken, was es alles zu lernen gibt, wenn wir unseren Fokus auf die kleinen unverwechselbaren Merkmale der Schränke unseres Gegenübers legen.
Auf die ästhetisch gewählten Türknäufe, auf die ausgekleideten Schubladen auf die liebevoll eingeräumten Inhalte. Lasst uns einander in all unseren Facetten sehen und mit Offenheit und Neugierde aufeinander zugehen.
Ein herzliches Dankeschön für die Inspiration für obigen Text geht an diesen Absender und seine Nachricht:
Und jetzt noch zum dritten, auch ganz wichtigen Punkt zum Mitschreiben, der meiner Ansicht nach endlich die Runde machen muss:
Feuchtigkeit ist kein Hinweis auf Erregung! Ich kann auch feucht sein und kein bisschen Sex mit dir wollen. Mein cleverer Körper bereitet sich einfach vorsichtshalber schon Mal auf eine mögliche sexuelle Handlung vor, auf die ich Lust haben kann, oder eben auch nicht.
Was man als Frau erlebt, wenn man auf Datingplattformen tatsächlich gezielt nach Intimität und Sex sucht, kannst du in diesem Gastbeitrag mit Paula nachlesen.
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