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Einvernehmlicher Sex braucht mehr als Konsens




Klar, ich bin natürlich dafür, dass sexuelle Begegnungen nur mit Konsens passieren. Und gleichzeitig glaube ich, dass es für einvernehmlichen Sex mehr braucht als Konsens. Nämlich Eigenverantwortung, Selbstfürsorge und eine bestimmte Art, miteinander in Verbindung zu kommen. Davon handelt dieser Text.


Was ist überhaupt Konsens? Konsent?

Konsens ist eine Vereinbarung, die zwei oder mehr Menschen miteinander treffen und zu welcher beide/alle ihr «Ja» geben. Manchmal wird noch unterschieden zwischen Konsens und Konsent. Konsens bedeutet, dass alle dafür sind und «Ja» sagen (aktive Zustimmung). Konsent meint, dass niemand dagegen ist und «nein» sagt (passive Zustimmung). Nochmals anders «Ich will» (Konsens) und «Ich bin bereit dazu» (Konsent). Das ist eine feine und wichtige Unterscheidung. Bei Konsens setze ich mich aktiv dafür ein, was ich will, bei Konsent mache ich mit, weil ich nicht dagegen bin. Beide sind eine Form der Zustimmung.

Beispiel für Konsent: Deine Partner:in ruft dich an und fragt dich, ob du heute Abend mit ins Kino kommst. Du möchtest lieber den Abend auf dem Sofa verbringen, bist jedoch auch nicht gegen den Kinobesuch. Das könnte dann so klingen: «Ich würde lieber auf dem Sofa chillen und ich bin bereit, mit dir ins Kino zu gehen».



Konsens ist das Aushandeln einer Vereinbarung

Konsens passiert nicht einfach so. Konsens wird ausgehandelt und diskutiert. Konsens ist eine Vereinbarung, die zwei oder mehr Menschen miteinander treffen. Und Konsens ist die feine Linie zwischen Freude (Genuss, Sicherheit, Vergnügen etc.) und Leid (Übergriff, Ausbeutung, Grenzverletzung, etc.). Das Wichtige bei Konsens ist nicht die Handlung, die daraus folgt, sondern das Aushandeln vorher. Das Treffen einer Vereinbarung, die für alle Beteiligten stimmig ist. Und es lohnt sich, hier genügend Zeit zu verbringen. Weil der Preis, den wir für Konsens-Verletzungen, (solche, die wir uns selbst zufügen und solche, die uns zugefügt werden), zahlen, ist hoch. Das kann so weit gehen, dass Menschen glauben, sie seien nicht wichtig und ihre Bedürfnisse und sich selbst und nicht zuletzt ihre Lebensfreude aufgeben, weil sie denken, dass sowieso niemand (sie selbst oder andere) ihre «nein» achtet und ihre «ja» nicht gehört werden.

Der Preis, den wir für Konsens-Verletzungen zahlen ist hoch. Das kann so weit gehen, dass Menschen glauben, sie seien nicht wichtig und sich selbst und ihre Bedürfnisse und nicht zuletzt ihre Lebensfreude aufgeben.

(Das geht übrigens weit über Berührung und Sexualität hinaus: Folgst du beruflich deinem «Ja»? Lebst du in einer Wohnung, zu der du ein «Ja» hast? Gestaltest du den Kontakt zu deinen Freund:innen nach deinem inneren «Ja»? Hast du dich selbst aufgegeben oder bist du in Verbindung mit dir? Macht du dir wichtig, was du willst? Im ganz Kleinen und im Grossen?)



In welchem Zustand bist du fähig, Konsens zu geben?

Wenn du in deinem Körper bist.

Konsens kannst du nur dann geben, wenn du mit beiden Füssen auf dem Boden stehst (wortwörtlich und sinnbildlich) und dich spürst und einigermassen «mittig» oder zentriert bist. Wenn du mit deinem Körper und dem, was bei dir gerade präsent ist, verbunden bist. Und das wiederum setzt voraus, dass du dich selbst ziemlich gut kennst und gelernt hast, auf die Weisheit deines Körpers zu lauschen. Bist du dagegen gerade sehr aktiviert (zum Beispiel Angst, Wut, Stress) oder gelähmt (Hilflosigkeit, Ohnmacht, Resignation, Angst) bist du nicht in der Lage, Konsens zu geben. Höchstens, zum Ausdruck zu bringen, dass du gerade nicht konsensfähig bist.


Welche Strategien kennst du, um in deinem Körper präsent zu sein? Tanzen, Meditieren, Selbstberührungen, Atmen, Füsse auf dem Boden spüren, Waldspaziergang …? Und wie fühlt sich das an in deinem Körper, wenn du bei dir und präsent bist?




Zwei Fragen, um Konsens herzustellen und zwei Bonusfragen

Um Konsens herzustellen, brauchst du lediglich zwei Fragen: «Würdest du mich/mir …?» und «Darf ich dich/dir …?».


«Würdest du mich/mir ...?» und «Darf ich dich/dir ...?».

 

Würdest du mir mit deinen Fingerbeeren fein übers Gesicht streichen? Würdest du mich lecken? Darf ich meinen Kopf an deine Schulter legen? Darf ich dir das T-Shirt ausziehen? Darf ich dich in mir aufnehmen? Und die zwei Bonusfragen: «Wie würdest du gerne berührt werden?» und «Wie würdest du mich gerne berühren?».


Noch viel wichtiger ist aber, dass du, bevor du versuchst, mit diesen Fragen Konsens herzustellen, ganz in deinem Körper ankommst und so tatsächlich deine «Ja» und «Nein» und «Vielleicht» spürst. Lass dir da ruhig Zeit. Du musst nicht sofort antworten, wenn dir jemand eine Frage stellt oder ein Angebot für Berührung macht. Du kannst auch ruhig 20 Sekunden in dich hineinspüren und wahrnehmen, was in deinem Körper passiert und dann erst antworten. Oder eine Nacht darüber schlafen. Oder einen Monat lang darüber nachdenken.



Und was, wenn doch Grenzen überschritten werden?

Das werden sie bestimmt. Ich bin sicher, wenn du dich zurückerinnerst, dann findest du Beispiele dafür, dass jemand ein Nein von dir nicht geachtet hat. Und ich bin auch sicher, dass du Beispiele dafür findest, dass du selbst dein Nein nicht geachtet hast. Und ich bin auch sicher, dass du Beispiele findest von Situationen, in welchen du ein Nein von einer anderen Person missachtet hast. Nur ist das vielleicht etwas schwieriger, zum Eingestehen. Vielleicht ist es ja sogar aus Fürsorge oder Liebe passiert.

Früher oder später wereden Grenzen überschritten. Die Frage ist, kann ich nach einer Verletzung im Kontakt bleiben mit mir selbst und mich in meinem Erleben mir selbst und einem Gegenüber zeigen? Können wir beide/alle da bleiben?

Worauf ich hinaus will; früher oder später wird jemand oder du selbst ein «nein» von dir missachten. (Und manchmal ist ja genau hier grosses Lernpotenzial drin …) Und diese Erkenntnis schmerzt. Sie kann Angst auslösen. Oder Distanz schaffen. Einsam machen. Das Gefühl auslösen von «nirgends bin ich sicher und gut aufgehoben». Sie kann dazu führen, dass Menschen niemals ganz bei sich und beim anderen ankommen, weil sich Verletzlichkeit und Intimität zu unsicher anfühlen. Und jetzt?




Die Frage ist: «Bleiben wir beide/alle da?»

Bin ich gewillt, nach einer Verletzung (m)eines «neins» im Kontakt zu bleiben mit mir selbst? Und mich in meinem Erleben mir selbst und einem Gegenüber zu zeigen? Bin ich in der Lage, mich selbst in meiner Wut, meinem Schmerz, meiner Trauer, – in meinen Gefühlen – ernst zu nehmen, zu spüren und mich damit verletzlich und echt zu zeigen? Bin ich als Person, die ein «nein» missachtet hat, bereit, dazubleiben und zuzuhören, was das beim Gegenüber ausgelöst hat? Kann ich das aushalten, ohne mich dafür abzuwerten? Kann auch ich spüren, welche Emotionen bei mir laut werden? Scham, Trauer, Angst?


Die Frage ist also, ob wir in der Lage sind, ein Repairing zu machen. Können wir zusammensitzen und auch das aussprechen, was schwierig ist? Können wir uns emotional zeigen? Kann jede:r von uns seine eigene Verantwortung übernehmen? Können wir nach einem Bruch wieder zusammenfinden?



Können wir die Scherben nach japanischer Art (kintsugi) mit goldenem Leim wieder zusammenkleben und sie wieder in Verbindung zueinander bringen?




Es ist nur Konsens, wenn ich weiss, dass ich nein sagen kann

Und jetzt wird vielleicht langsam klar, warum ich sage, dass es für einvernehmlichen Sex mehr braucht als Konsens:

Es ist nur Konsens, wenn ich weiss, dass ich Nein sagen kann.

Es ist dann Konsens, wenn ich für mich selbst verlässlich werde. Wenn ich weiss, ich setze mich für mich ein und wahre meine Grenzen. Wenn ich weiss, ich nehme mich und meine Bedürfnisse und Wünsche wichtig. Wenn ich weiss, ich stehe für mich ein. Wenn ich weiss, ich bin bereit, eine andere Person zu enttäuschen, um meinem Herz zu folgen.


Konsensueller Sex braucht also Eigenverantwortung (Selbstermächtigung) und Selbstfürsorge: Ich nehme mich selbst so wichtig, dass ich mich zu einer Priorität mache und mich aktiv für mich und mein Wohlergehen einsetze oder mir verspreche, dies zu lernen und mich dann auf den Weg mache und x-mal hinfalle und wieder aufstehe und es nochmals versuche.



 

Bei mir und in Verbindung

Natürlich findet Konsens nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einem Kontext statt. Nämlich in Verbindung zu anderen Menschen. Was für mich immer wieder die Frage aufwirft: «Wie können wir einander begegnen, dass Konsens möglich wird?».


Wodurch zeichnen sich Verbindungen aus, die begünstigen, dass beide/alle Partner:innen sich getrauen, ihre «nein» und «ja» zum Ausdruck zu bringen?

Ich stelle mir vor, es sind Verbindungen, die basieren auf Nahbarkeit, Ehrlichkeit, Echtheit und Vulnerabilität. Beziehungen, in welchen Emotionen und Fehler Platz haben und Beziehungen, in welchen Menschen gewillt sind, auch schwierige Themen gemeinsam zu bearbeiten. Beziehungen, in welchen das Vertrauen stark ist, dass die andere(n) Person(en) auch dann dableiben, wenn es anspruchsvoll wird. Beziehungen, in welche beide/alle Personen die Verantwortung für sich und ihr Erleben tragen und gewillt sind, mit ihren Emotionen und Geschichten und verletzten Anteilen zu sitzen.  

 

Und wenn du das erleben willst, dann lade ich dich herzlich ein, bei einer meiner nächsten Konsens-Veranstaltungen teilzunehmen und zu spüren, wie sich das anfühlt.







Ressourcen und weitere Materialien





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